GemüseAckerdemie: Für eine Generation, die weiss, was sie isst
Von Fast Food bis Food Waste: Es fehlt an Wertschätzung für Lebensmittel. Das Bildungsprogramm GemüseAckerdemie will Abhilfe schaffen, indem es die Konsumenten von Morgen in die Feldforschung schickt.
Rüebli kommen aus dem Supermarkt, von krummem Gemüse kriegt man eine Lebensmittelvergiftung und Äpfel wachsen im Wald. Was wie ein schlechter Scherz klingt, sind in Wahrheit Fehlannahmen von Kindern, die auf ein tieferliegendes Problem deuten: Eine Entfremdung der Gesellschaft von der Natur als Ursprung ihrer Lebensmittel. Was da plastikverpackt rund ums Jahr im Regal liegt, musste nämlich bereits Monate zuvor gesät, sorgfältig und unter den richtigen Umständen bewirtschaftet und schlussendlich geerntet werden. Doch wie sollen Stadtkinder in einem Klassenzimmer fernab fruchtbaren Bodens diesen Prozess hautnah miterleben? Ganz einfach, sagt die GemüseAckerdemie Schweiz, indem man ebendiesen Boden direkt zu den Kindern bringt und sie ihre eigene Nahrung kultivieren lässt.
Eine Idee trägt Früchte
Während seiner Dissertation am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, kam Christoph Schmitz zum ersten Mal die Idee des ackerdemischen Unterrichts. Ein Bildungsprogramm für Kinder und Jugendliche, das theoretisches und praktisches Wissen über Naturzusammenhänge, Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft mit gesunder Ernährungsweise und nachhaltigem Konsum verbindet.
Ein Jahr später testete Schmitz gemeinsam mit seiner Schwester Ulrike und deren Schulklasse ebendiesen Unterricht in einem Pilotprojekt und liess den Versuch wissenschaftlich begleiten. Die Begeisterung der Kinder und der nachgewiesene Lernerfolg überzeugten. Die GemüseAckerdemie in Deutschland war geboren. Und weil gute Ideen Bahnen ziehen, pflügte sich das Bildungsprogramm auch einen Weg nach Österreich und in die Schweiz.
Hier wird die nächste Generation kultiviert
Nur wenige Kinder und Jugendliche haben heutzutage die Möglichkeit, eigenhändig dem Ursprung ihres Mittagessens auf den Grundboden zu gehen. Wegweisende Erfahrungen, wie das Wirken in einem Gemüsegarten oder die Erkundungstour auf einem Bauernhof, bleiben den meisten verwehrt. Es fehlt die Wertschätzung und der Bezug zur Natur. Dies führt zu ungesunder Ernährung und Food Waste. Gegen diese „Entfremdung der Gesellschaft von Nahrungsmitteln“, wie Christoph Schmitz die Entwicklung nennt, kämpft die GemüseAckerdemie.
Entschliesst sich eine Schule zur Teilnahme an dem ganzjährigen Bildungsprogramm, wird auf dem Schulgelände ein Acker angelegt. Die Lehrpersonen werden geschult, um den begleitenden praktischen und theoretischen Unterricht durchführen zu können. Danach bewirtschaften die Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang ihr Feld und bauen bis zu 25 verschiedene Gemüsesorten (das Programm bietet insgesamt bis zu 60 Sorten zur Auswahl) an. Zum Schluss ernten sie die selbstkultivierten Kunstwerke und bestimmen, was sie damit machen wollen. So wird die nächste Generation dazu ermutigt, sich nachhaltig handelnd in die Gesellschaft einzubringen.
Die Ackerdemie gedeiht
Das Interesse am Bildungsprogramm wächst stetig. Mittlerweile gruben, wässerten, säten und ernteten über 65 000 Kinder und Jugendliche an über 650 Lernorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern auf dem eigenen Acker. Alleine letztes Jahr waren es 27 000. Dabei haben sie neues Wissen erworben und sich an der frischen Luft bewegt. Auch zum einen oder anderen Aha-Erlebnis bezüglich Supermarkt oder Food Waste ist es gekommen: So schmeckten denn die eigenhändig aus dem Boden gezogenen Rüebli viel besser als die aus dem Laden, freute sich eine Primarschulklasse. Eine andere Klasse erkannte derweil, dass man auch eine missratene Ernte geniessen kann: Krummes Gemüse schmecke eigentlich gleich gut, nur werde es halt weggeschmissen, weil die Leute es nicht kauften, stellten sie fest. Und ganz bestimmt werden keine Schülerinnen und Schüler, die an der GemüseAckerdemie mit anpacken konnten, im Wald auf Apfelsuche gehen.
Und wie geht es weiter? In zehn Jahren gehöre der Schulgarten wieder schweizweit zum Ortsbild dazu, so die Vision der GemüseAckerdemie Schweiz, die in diesem Unterfangen vom Migros-Pionierfonds unterstützt wird.