Er recycelt ganze Häuser
Der Frauenfelder Architekt Gabriel Müller ist spezialisiert auf historische Bausubstanz. Mit Know-how, Leidenschaft und einem Lagerraum, in dem gut 100‘000 Ersatzbauteile auf ihren zweiten Einsatz warten, zeigt der „Vermittler zwischen alten Häusern und der neuen Zeit“ mit seinen Projekten immer wieder auf: Abreissen muss nicht sein.
Die meisten Menschen ziehen nicht gerne um. Doch Gabriel Müller ist nicht wie die meisten Menschen. Momentan befindet er sich, wie schon oft zuvor, mitten in einem Umzug. Es handelt sich dabei aber keinesfalls um eine gewöhnliche „Züglete“. Der Architekt, der sich bereits vor 26 Jahren dem Erhalt und der Restauration alter Gebäude verschrieben hat, transportiert derzeit ein antikes Haus von seinem alten Standort an einen neuen Fleck.
Recycling mal anders.
Dann nimm’s doch mit
In seinem Architekturbüro, das in einem von ihm restaurierten Riegelhaus aus dem 16. Jahrhundert liegt, koordiniert Gabriel Müller Projekte, die man auch als Umzugs-Extremsport bezeichnen könnte. Zum Beispiel das derzeitige: Der Abbau, Wiederaufbau und die Sanierung des Frauenfelder „Häxehüsli“. Zusammen mit 15 befreundeten Handwerkern und vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, zerlegte er während der letzten drei Jahre das 166 Jahre alte Häuschen in seine Einzelteile und baute diese an einem neuen, besser geeigneten Fleck wieder auf. Ein Recycling-Klötzlispiel. Rund 6000 Bauteile konnten bisher wiederverwendet werden. Unter anderem Backsteine, Balken, antike Dachziegel, Fenster und sogar die Haustüre. Hie und da ergänzte Müller mit Stücken aus seinem privaten Ersatzbauteillager. Einzig Badezimmer und Küche sind brandneu, und natürlich hat das Häuschen Strom und (Holz-) Heizung. Ein bisschen moderner Luxus darf nicht fehlen.
Von Barockfenstern und bemalten WC Schüsseln
Das Wiederverwenden von Bauteilen wurde Gabriel Müller laut eigener Aussage von seinem Vater, einem auf Nachhaltigkeit bedachten Schreiner, in die selbstgezimmerte Wiege gelegt. So packte Müller denn das nackte Grauen, als er bei seinem ersten Job nach der Hochbauzeichnerlehre Zeuge davon wurde, wie bei einem restaurationsbedürftigen Haus ein grosser Teil einfach rausgerissen wurde. Heimlich begann er damit, abends einwandfreie Teile aus dem Baumüll zu retten und bei sich zuhause aufzubewahren. Für später irgendwann.
Was damals als Bauteil-Rettungsprojekt in einer Garage begann, ist mittlerweile zu einem 400 Quadratmeter grossen Lagerraum, in dem gut 100‘000 Stücke auf ein zweites Leben warten, herangewachsen. Von Kohlenbügeleisen, handbemalten WC-Schüsseln und Kachelöfen, bis zu Holzbalken, Dachziegeln und Bodenplatten, findet sich dort alles, was das Historiker- wie auch das Architektenherz begehrt. Denn: „Ich versuche immer, mit dem Bestand etwas zu machen“, sagt Gabriel Müller. Er betrachte sich als Vermittler zwischen alten Häusern und der neuen Zeit. Alt sei nicht gleich schlecht, neu sei nicht gleich gut. Die nachhaltige Mischung mache es aus. Genau wie beim 166 Jahre alten Häxehüsli, das nun, dank Müller, hoffentlich weitere 166 Jahre Geschichte miterleben darf. Der Architekt hat wieder bewiesen: Abreissen muss nicht sein.